Nichts genaues
Es gibt ein Gedicht über den Teich von Hirosawa, das lautet:
Spiegelt er sich zwar,
tut’s der Mond doch absichtslos,
spiegeln sie ihn zwar,
tun’s die Wasser doch absichtslos
des Teichs von Hirosawa.
Wenn ich zum kleinen Teich gehe, kann ich sehen, wie sich der Mond auf der Oberfläche des Wassers spiegelt. Er scheint dann ganz nah, obwohl er zugleich über mir in der Unendlichkeit des Alls steht. Wenn ich den Blick wandern lasse, nehme ich ihn zweifach wahr. Als ein nahes Spiegelbild und als weit entfernte Wirklichkeit.
Für den Mond und das Wasser ist das Spiegelbild ohne Belang. Nur der Betrachter erkennt im Spiegelbild ein Abbild der Realität, nur er erkennt sowohl die Ähnlichkeit wie auch die Differenz.
Wenn die Oberfläche des Wassers bewegt wird, verändert sich das gespiegelte Bild, weil es an die Struktur der Oberfläche gebunden ist. Wird der Mond von einer Wolke verdeckt, entsteht kein Bild. Auf Beides hat der Betrachter keinen Einfluss, aber er wird diese neues Bilder der Wirklichkeit in seiner Erinnerung aufnehmen. Sie werden Teil seiner Erfahrung der äußeren Welt.
Kein Künstler hat das Abbild des Mondes auf dem Wasser geschaffen. Ein Kunstwerk wäre unabhängig, aber nicht ohne Belang. Das Bild des Künstlers würde sich mit der Realität des Dargestellten sättigen, und die Realität sich für den Betrachter durch die Leistung des Bildes erschließen. Es entstünden nicht nur eine, sondern viele Bilddimensionen, ein Zuwachs an Sein, der das Bild aus der Angleichung an das Dargestellte befreit.
Es ist Aufgabe des Künstlers, das Viele in dem Einen zu schaffen, dem Betrachter neue Dimensionen des Sichtbaren und Unsichtbaren zu eröffnen. Es ist dann an dem Betrachter, sich diese zu erschließen, die Möglichkeiten des Bildes zu entfalten, einzeln wie auch im Nacheinander und Nebeneinander.
„Starke Bilder bilden nicht ab, sie setzen aber auch nicht nur dagegen, sondern bringen eine dichte, nicht unterscheidbare Einheit zu Stande … stark sind solche Bilder, weil sie uns an der Wirklichkeit etwas sichtbar machen, das wir ohne sie nie erführen“ (1)
Hanne Zech, Bremen 2002
(1) Gottfried Boehm. Zuwachs an Sein. In: Festschrift für Hans-Georg Gadamer. (Hrsg) Klüver, München 1991